Unsere Abschlussrede auf der CSD-Fahrraddemo

Hermann Neemann, CSD-Fahrraddemo 2020 (Foto: Thorsten Duhn)

Oldenburg, 20.06.2020

Liebe Mit-Demonstrierenden,

wir vom Orga-Team freuen uns, dass heute so viele mit dem Fahrrad demonstriert haben und dabei für uns alle eine ganz neue CSD-Erfahrung gemacht haben.

Wir sagen Danke an uns alle, für das Zeichen der Sichtbarkeit auch im Corona-Jahr 2020!

Für die, die mich nicht kennen, ich bin Hermann, arbeite seit mehr als 30 Jahren mal mehr mal weniger für den Na Und, für die Grünen in Oldenburg du natürlich seit 25 Jahren für den CSD Nordwest in Oldenburg.

Ich sage das vorweg, weil ich gleich auch ein wenig auf die Vergangenheit Bezug nehme, die ich gemeinsam mit vielen von Euch erlebt habe. Für Jüngere ist das zwar ein wenig von „damals“, aber dass wir heute hier in Oldenburg mit dem Rad demonstriert haben und hier stehen, das hat seine Geschichte!

Dass wir heute in Oldenburg mit der Fahrrad-Demo Flagge gezeigt haben ist, ist ganz und gar nicht von damals und war heute unverzichtbar!

Eure großartige Teilnahme zeigt uns heute, wie richtig wir euer Bedürfnis, ja unser aller Verlangen nach Sichtbarkeit und Demonstration für unsere politischen und gesellschaftlichen Forderungen und insbesondere für unser Leben, unsere Identität, unsere Liebe, unsere Gleichberechtigung und Akzeptanz eingeschätzt haben.

Wir sind jetzt so glücklich, wie man in Zeiten von Corona-Beeinträchtigungen maximal sein kann. Dieser so plötzlich aufgetauchte und für viele Menschen so gefährliche Virus hat unser aller Leben in den letzten Monaten total verändert und damit logischerweise auch unseren lieb gewonnenen CSD Nordwest mit viel lauter Musik hier in Oldenburg unmöglich gemacht.
Als hätte es der CSD-Verein geahnt und darum bereits den 25. CSD Nordwest im letzten Jahr als Jubiläum gefeiert und nicht erst heute klassisch 25 Jahre CSD. Aber so konnten wir im letzten Jahr einen vollwertigen CSD genießen mit einer großen Schlusskundgebung auf dem Schlossplatz. All das fällt in diesem Jahr aus.

Der CSD-Verein hat heute von 11.00 bis 15.00 eine Mahnwache auf dem Schlossplatz abgehalten, der Oberbürgermeister hat gesprochen. Viele wichtige politische Forderungen wurden vorgestellt, aber Zugang war wegen Corona-Bekämpfung nur für wenige möglich.

Aber eine Mahnwache allein war uns, den Grünen, Homophilias und dem Na Und (wer es nicht weiß, das ist der Verein, der die Rosa Disco, die Rosigen Zeiten und seit ein paar Jahren auch die Männerfabrik betreibt) zu wenig fordernd, zu defensiv und zu wenig sichtbar. Die Corona-Lage in Oldenburg und die rechtlichen Grenzen sind nicht mehr so eng, dass nicht doch eine Demonstration möglich wäre.

Der CSD ist auch mahnend, aber der CSD ist in seinem Ursprung und seinem Sinn ein Kampf um Gleichberechtigung durch selbstbewusstes sich zur Schau stellen im zentralen Öffentlichen Raum. Mit dem CSD machen wir unseren Anspruch auf gleichberechtigte Teilnahme am gesamten gesellschaftlichen Leben einmal im Jahr mit einem lauten Auftritt sichtbar!

Deswegen unsere Idee für das Corona-Jahr: eine Fahrraddemo, da sorgen die Fahrräder schon für den Corona-Abstand. Deswegen haben wir zu dieser Demo aufgerufen und es ist toll, dass so viele Organisationen mit uns zur Demo aufgerufen haben, Thomas hat die eindrucksvolle Liste zu Beginn der Demo ja vorgetragen. Noch mal ein „Danke“ an all die Mitaufrufenden!
Es gab Stimmen, die gesagt haben, in Zeiten von Corona-Bekämpfung sollten auch wir auf eine CSD-Demo komplett verzichten, wir könnten ja im nächsten Jahr wieder einen normalen CSD machen. Das sehen wir alle, die wir heute um die Stadt gefahren sind anders!

Die gesellschaftliche Lage und auch unsere Forderungen sind zwar heute komplett andere, als noch vor 25 Jahren in Oldenburg und noch viel mehr vor etwas mehr als 50 Jahren in New York. In New York haben damals vor allem die Transvestiten und die Transsexuellen (ich hoffe, die Formulierung ist korrekt) und nicht die Schrank-Schwulen (das ist politisch korrekt, denn der gemeine Schwule hat sich damals im Schrank versteckt und wollte nur nicht auffallen und anecken) einen Aufstand gegen Polizei-Willkür, gegen tägliche Razzien und Schikanen gewagt. Und sie haben mit ihren Pömps als Waffe eine Straßenschlacht begonnen. Das war damals sehr mutig, weil mit sehr persönlichen Konsequenzen verbunden.

Leider sind solch gefährliche Demonstration in den USA auch 50 Jahre später wieder nötig und mutig. Heute noch nicht primär für Lesben und Schwule, aber erneut für Transmenschen, denn Trump hat gerade mal wieder per Dekret ein Schutzgesetz aus der Obama-Zeit für Transgender aufgehoben indem er ihre Existenz bestreitet. Das ist die schlimmste Form der Diskriminierung, schlicht die Existenz abzustreiten.

In den USA geht ein Präsident zurück zum Alten Testament und damit soweit rückwärts, wie wir es uns das für eine westliche Demokratie nicht haben vorstellen können. Wir wollen hier gar nicht erst zulassen, dass es soweit kommt.

Deswegen stehen wir auch im Corona-Jahr hier und machen uns in der Öffentlichkeit sichtbar und breit. Unser aller Existenz soll niemand bestreiten können!
Wir lassen uns aus der Öffentlichkeit nicht mehr vertreiben! Wir sind viele, wir alle gehören gleichberechtigt dazu!

Ich bin sicher, die großartigen CSD in den USA haben dazu beigetragen, dass der Supreme Court gegen die Republikaner und Trump, den Kündigungsschutz auch auf die sexuelle Orientierung als unzulässigen Kündigungsgrund ausgedehnt hat. Und das trotz republikanischer Mehrheit im Supreme Court. Das war ein bedeutender Erfolg für die LGBTI Community in den letzten Wochen!
Wir senden unsere Botschaft in die USA und sind solidarisch mit den Transidenten aber auch mit den Forderungen der „BlackLivesMatter“-Bewegung, die hier bei uns besser „JedeLiebeZählt“ Bewegung heißen müsste. Wir sollten einen lauten Protest, ein „Buuuh“ Richtung USA senden. Es ist unfassbar wie groß die Benachteiligung der Farbigen und deren Lebensgefahr heute immer noch ist auch nach mehr als 50 Jahren Bürgerrechtsbewegung. Aber die Bürgerrechtsbewegung hat irgendwann aufgehört auf sich aufmerksam zu machen, sich auf der Straße zu zeigen. Diesen Fehler machen wir nicht, wir sind hier!

Vor 25 Jahren haben die Lesben- und Schwulenvereine aus Oldenburg und Bremen, die Männerfabrik zusammen mit den Grünen, der AIDS-Hilfe und einige andere gegen die damals noch sehr stark ausgeprägte gesellschaftliche Diskriminierung von Lesben und Schwulen und insbesondere gegen die Stigmatisierung der AIDS-Kranken und HIV Positiven demonstriert. Es ist heute kaum vorstellbar: dazu gehörte damals Mut, denn viele von uns waren noch nicht geoutet und unsere Forderungen waren weiß Gott noch nicht Mainstream.

Das ist mittlerweile großenteils anders, das haben auch wir mit dem CSD in Oldenburg erreicht. Nicht nur heute bei unserer Fahrraddemo, auch beim vor-Corona-CSD gehen mittlerweile alle demokratischen Parteien (Gruß an die SPDqueer und die Linken, die auch zur heutigen Demo aufgerufen haben) und viele andere gesellschaftlichen Gruppen und Schulen gerne mit und zeigen Solidarität. Das ist gut und dafür danken wir Allen.

Ich sage aber bewusst „alle demokratischen Parteien“ und nehme eine Partei aus, ich denke ihr wisst, wen ich meine: die Fuck-you-AFD! Ich bin sehr froh, dass Oldenburg nicht nur einen tollen CSD hat, sondern eine insgesamt solidarische und wache Gesellschaft:

als im Oktober 2018 die AfD in der Weser-Ems-Halle ihren Landesparteitag abgehalten hat, haben auch wir, die wir heute wieder hier demonstriert haben, ein tolles Zeichen mit einer spontanen Riesen-Demo gesetzt und der AfD entgegen gerufen: Wehret den Anfängen, Nazis raus aus unseren Parlamenten.

Aber zurück zu unseren heutigen Forderungen: Viele Ziele der Lesben und Schwulenbewegung sind erreicht, aber das Leben wäre zu einfach, wenn wir uns auf Heteros, Lesben und Schwule beschränkten. Wir haben erkannt, das Leben bietet noch viel mehr Facetten und daher heißt auch der Na Und Verein nicht mehr Verein für Lesben und Schwule, sondern Na Und Queeres Leben in Oldenburg.

Wir bieten in unserem Na Und Zentrum, auch als Hempels bekannt mittlerweile auch den Transsexuellen, Transvestiten, den Gendertravellers, Trans und Inter ein Zuhause. Es ist unser aller zu Hause!

Hier wollen wir dann doch noch eine ganz konkrete, aktuelle politische Forderung anbringen: Schluss mit der demütigen Zwangsbegutachtung für Transmenschen bei der Geschlechterwahl!
Auch wenn viele unserer politischen Forderungen zur Gleichberechtigung in Deutschland mittlerweile in Gesetzen verankert sind, so bleibt es unsere jährliche Pflicht, beim CSD ein Zeichen der Sichtbarkeit zu setzten. Das haben wir heute getan, dafür danken wir Euch von ganzen Herzen.

Wir haben heute gezeigt, CSD geht auch mal ohne Musik-Trucks, ohne Tanz auf der Straße und auch ohne Alkohol! Aber einmal so ein CSD reicht!

Wir bleiben optimistisch, dass bald ein Impfstoff gegen diesen blöden Virus gefunden wird und wir schon im nächsten Jahr es beim CSD Nordwest in Oldenburg wieder richtig krachen lassen können.

Mit diesem Ausblick beende ich die heutige Demo und bitte Euch, fahrt jetzt mit Abstand sichtbar auf Eurem Weg zurück wo auch immer hin, genießt den schönen Tag in Euren Kleinstgruppen.

CU, Happy CSD 2021 in Oldenburg

Hermann Neemann
Vorstand BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN SV Oldenburg
Mitglied im Na Und e.V. und beim CSD-Nordwest e.V.
Vorstand Michael-Sartorius-Stiftung